Die Geschichte der Märchensiedlung
Märchenhaft klingen die Straßennamen und lassen an die wundersamen Geschichten der
Gebrüder Grimm denken: Rotkäppchenweg, Dornröschenhecke, Siebenrabengasse und Schneewittchenweg. Diese Straßen liegen in einem idyllischen Viertel in Holweide, das in den 20er Jahren erbaut wurde. Enge,
verwinkelte Straßenzüge ohne Bürgersteige erinnern an mittelalterliche Gassen, die vielen Bäume und Gärten lassen die Siedlung ländlich wirken.
Vor rund 75 Jahren wurde das erste der rund 180 Einfamilienhäuser errichtet. Auf den früheren Ländereien des mittelalterlichen Rittergutes Iddelsfeld entstanden dann unter dem Motto:
"Leben wie im Märchen" eine ganze Siedlung. Den Auftrag zur Planung der Siedlung hatten die Architekten Manfred Faber und Wilhelm Riphahn von der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft
für Wohnungsbau (GAG) erhalten. Die GAG hatte 1920 den Bebauungsplan aufgestellt, der das Gebiet zwischen der heutigen Straßenbahnlinie nach Bergisch Gladbach - damals die
"Kleinbahn" -, der Neufelder Straße sowie der heutigen Andersen- und Märchenstraße einschloß.
Hier sollte eine Siedlung entstehen, die die Ideale der aus England kommenden
Gartenstadtbewegung umsetzte. Deren Ziel war es, am Rande städtischer Ballungszentren für Arbeiterfamilien ausreichenden Wohnraum zu schaffen, denn nach der Jahrhundertwende lebten die meisten von ihnen in engen
"Mietskasernen". Die Neubauten in Holweide boten deutlich mehr Platz: Fünf bis sechs helle Zimmer und einen großen Garten. Hier konnten die Familien Gemüse anbauen und Kleintiere halten - für viele die
einzige Chance, sich gesund zu ernähren.
Zudem waren die Häuser entweder mit einer Toilette oder einem Badezimmer ausgestattet. Heizen konnten die Bewohner mit einem Kachelofen, der mittels eines Heissluftsystems
sämtliche Zimmer erwärmte. Solchen Wohnkomfort konnte man den Häusern allerdings von außen nicht ansehen: Sie wirken eher schlicht.
Zwei Haustypen, die in verschiedenen Kombinationen zu Gebäudezeilen verbunden
sind, bestimmen das Bild der Siedlung: sechräumige mit gestaffelter Geschosshöhe und herabgezogenen Dächern stehen jeweils an beiden Enden einer Zeile. Diese Eckbauten werden durch einfacher gestaltete
Häuser miteinander verbunden: Deren Fassade ist klar gegliedert. Unter einem Satteldach sind gleich vier große rechteckige Fenster symmetrisch angeordnet - jeweils zwei untereinander. Durch die Kombination
der unterschiedlichen Haustypen, der vor- und rückspringenden Fassaden, der verzierten Gartentörchen und bogenförmige Haustüren wirken die Straßenzüge recht abwechslungsreich.
Schon beim ersten Spatenstich vor mittlerweile 75 Jahren war vorgesehen, dass die künftigen Bewohner einmal Eigentümer der Häuser werden. Ihnen wurde ein Mietkauf-System angeboten. Die interessierten Käufer gaben an, wie hoch ihr Lohn war, danach wurde die Ratenzahlung festgelegt. Obwohl
die Siedlung inzwischen mehrere Generationen neuer Bewohner erlebt hat, wurden in der Regel lediglich Details verändert. In den 60er Jahren wurden viele Aluminiumfenster, neue Gartentörchen und Hautüren
eingebaut. Darunter hat die Einheitlichkeit ein wenig gelitten. Zwischenzeitlich gibt es die Bestrebung, die kleinen Bausünden von früher zu korrigieren. Mittels
alter Fotos soll die alte Harmonie der ursprünglichen Architektur wieder hergestellt werden. Bereitwillig haben viele Hausbesitzer in den vergangenen Jahren Gartentörchen und andere
Details in ihren ursprünglichen Zustand zurück versetzt. Modernisierungen werden zudem durch gesetzliche Bestimmungen verhindert. Mittlerweile stehen 135 Einzelobjekte unter Denkmalschutz.
Quelle: Kölner Stadtanzeiger
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